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In Theresienstadt


Enge, Läuse, Hunger – auf diese drei Begriffe lassen sich die Erinnerungen vieler Zeitzeugen an Theresienstadt reduzieren. Das Lager in den ehemaligen K u K-Kasernen rund 50 km von Prag entfernt war durch seine gute Überwachbarkeit, seine Gebäude und den nahen Bahnhof ausgewählt worden, um als sogenanntes Altersghetto zu dienen. Fredy Kahns Mutter, Jeanette Karschinierow war hier von August 1942 bis Mai 1945 eingesperrt. Sie überlebte Theresienstadt und hinterließ Ihrem Sohn Fredy einige Gegenstände, die dieser am Montag, 19. Juli, bei seinem Besuch in der Gewerblichen Schule präsentiert hat. Darunter auch Geldscheine mit dem Profil Moses auf der Vorderseite. „Mein Opa musste als Bedienung im Speisesaal arbeiten. Es wurden sogar Sparbücher angelegt, aber nie etwas abgehoben“, sagt Kahn. Dieses Scheingeld hatten die Nationalsozialisten 1944 in Theresienstadt ausgegeben, weil sie einen Besuch des Internationale Roten Kreuzes fürchteten, das die Zustände in den Konzentrationslagern überprüfen wollte. „Guck, die hen doch Geld“. So sollte die Bevölkerung getäuscht werden. Für diesen Besuch wurden eigens Blumenbeete angelegt, ein Kaffee eröffnet und auch Geschäfte mit Kleidung vorgetäuscht. Diese bestanden jedoch nur, bis der Besuch des Internationalen Roten Kreuzes beendet war. Der Besuch im Juni 1944 von zwei Dänen und einem Schweizer, die sechs Stunden im Ghetto Theresienstadt verbrachten, war für die Nationalsozialisten ein Propagandaerfolg. Tatsächlich schrieb der Schweizer Gesandte Dr. Maurice Rossel einen positiven Bericht, der die Weltgemeinschaft blendete. Später stellte sich heraus, dass Rossel selbst Antisemit war.Max, Freiwilliger der Aktion Sühnezeichen, zeigt den Stadtplan von Theresienstadt

Bis zu 60.000 Menschen waren in den für 7000 Soldaten konzipierten Gebäuden zeitweise untergebracht. „Die Menschen schliefen sogar in Schaufenstern der Läden“, berichtet Dita Krausova, eine 94jährige Zeitzeugin, die den zwölf Schülerinnen und Schülern der Klassen 11 und 12 des TG aus Netanyia in Israel via Skype zugeschaltet ist. „Wir haben im Herbst 1942 einige Wochen in Katakomben auf dem Fußboden geschlafen“, berichtet sie. Jedoch habe Theresienstadt weitgehend unter jüdischer Selbstverwaltung gestanden, so habe sich der Umgangston deutlich von Auschwitz und Neuengamme unterschieden. „Es gab wenig Essen, nie Obst oder Gemüse, man hatte eigentlich immer Hunger“, sagt Dita Krausova. Doch der Holocaust begann, als die Familie im Dezember 1943 nach Auschwitz deportiert wurde. „In dem Moment, als wir in leere Viehwaggons steigen mussten, war das Leben nichts mehr wert. Wir standen im Zug, eine ganze Nacht, einen ganzen Tag, wie in einem überfüllten Autobus aneinandergedrückt“.

Bereits am Vormittag des 19. Juli hatte Emma, eine Freiwillige der Aktion Sühnezeichen, die in Theresienstadt ihr Freiwilliges Soziales Jahr absolviert, die Schülerinnen und Schüler mit drei Biografien aus Theresienstadt konfrontiert. Unter dem Titel „Nachrichten aus der Vergangenheit“ untersuchte sie dabei drei Einritzungen in einer Poterne, einem Durchgang in die Festung. „Es ist nicht ganz klar, warum diese Einritzungen getätigt wurden, vielleicht auch aus Langeweile“, so die 20jährige, die im Herbst ein Geschichtsstudium in Marburg beginnen wird. Einsicht in die Arbeit von Historikern geben, das ist das Ziel des Workshops für Emma. Lena Schork wird später den Workshop als den Höhepunkt der viertägigen Reise bezeichnen. „Es war cool, aus den Dokumenten was rauszufinden“, sagt die 16jährige Schülerin. „Die großen Zahlen werden greifbarer“, sagt Emma. „Jedes Dokument ist subjektiv, und man sieht, was für verschiedene Dokumente es gibt. Alle zusammen ergeben eine Persönlichkeit.“

Die großen Zahlen: Insgesamt 140.000 Juden gingen durch Theresienstadt, 88.000 wurden in die Vernichtungslager weitertransportiert, wie etwa Dita Krausova. 34.000 starben in Theresienstadt, 18.000 überlebten, wie Jeanette Karschinierow, Fredys Mutter. Ihr Vater starb drei Tage vor der Befreiung, Fredy Kahn präsentiert den Schülerinnen und Schülern noch die Notiz, die Jeanette auf dem leeren Bett ihres Vaters am Morgen des 4. Mai 1945 fand, unterschrieben von einer empathischen Schwester mit dem Namen Regina Blöger.

Auch Fredys Vater Harry Kahn überlebte in Theresienstadt, er wurde am 8. Mai von russischen Soldaten befreit und wog noch 38 Kilo. Wo sollte er jetzt hingehen? „Na gehe ich mal dahin, wo ich herkam“, sagt Fredy Kahn. Zurück nach Baisingen. „Harry, wo kommsch Du denn her“, fragten ihn die Baisinger Bürger, vermutlich betroffen und auch beschämt.

„Meine Jugend war geprägt von KZ-Überlebenden Eltern“, sagt Kahn heute. „Ein Wunder“, dass er 1947 dem neuvermählten Ehepaar Jeanette Karschinierow und Harry Kahn noch geschenkt wurde.

Ob er selbst Antisemitismus erlebt hat? Ja, an drei Episoden kann er sich erinnern. Die jüngste passierte in den Räumen seines Fitness-Studios, als ein türkischstämmiger Mann sich zwar skeptisch über die Politik des türkischen Präsidenten Erdogans äußerte, aber dessen ablehnendes Verhalten gegenüber dem Staat Israel als besonders lobenswert hervorhob.

„Wenn jemand sich fremdenfeindlich oder gar antisemitisch äußert, solltet ihr den Mut besitzen aufzustehen und sagen: Das ist nicht in Ordnung!“, schärft er den Schülerinnen und Schülern zum Abschied ein.

Erwähnenswert ist auch noch die Führung durch die kleine Festung in Theresienstadt, die der andere Absolvent des Freiwilligen Sozialen Jahres, Max, in Theresienstadt abhielt. Bereits ab 1940 diente der Ort als Gestapogefängnis, in dem vor allem Tschechen gefangen gehalten und gefoltert wurden. „Letztendlich waren die Bedingungen wie in einem KZ“, sagt Max. Auch die Inschrift „Arbeit macht frei“ findet sich über einem Tor. Allein beim Bau des Schwimmbades, das für die SS angelegt wurde, starben 60 Häftlinge.

Wie brutal die SS mit den Tschechen umging dokumentiert der Besuch in Lidice am Freitag, 21. Juli. Insgesamt 173 Männer wurden von Polizeieinheiten erschossen, weil tschechische Partisanen den tschechischen stellvertretenden Reichsprotektor für Böhmen und Mähren, Reinhart Heydrich, ermordet hatten. Am 10. Juni 1942 wurden auch alle Frauen und Kinder abtransportiert. Während einzelne Frauen im Konzentrationslager den Krieg überlebten, wurden fast alle Kinder ins Ghetto Lodz deportiert und wenige Tage später in einem LKW auf der Fahrt ins Vernichtungslager Chelmno mit Gas getötet. Die Ortschaft Lidice wurde völlig eingeebnet, und ein Jahr lang vom Reichsarbeitsdienst bis zur Unkenntlichkeit verändert. „Wir löschen jede Spur eurer Existenz“, war die Botschaft dieser Maßnahme. Soldaten des Reichsarbeitsdienstes, schändeten auch die Gräber auf dem Friedhof und spielten Fußball mit den Schädeln. „Das sollte dokumentieren, wie gnadenlos man gegen seine Feinde vorgehen soll“, sagt Katharina, eine 20jährige Freiwillige aus Gießen. Doch die Brutalität hatte den gegenteiligen Effekt: In Großbritannien gab es eine riesige Welle der Solidarität mit Lidice, es wurde viel Geld gesammelt, so dass nach dem Krieg jede überlebende Frau ein Haus in einem neuen Dorf geschenkt bekam, das wenige hundert Meter von der alten Ortschaft entfernt liegt. Heute erinnert ein Rosengarten mit 30.000 Rosen aus vielen Ländern an diese Solidaritätsaktion, der 1955 gepflanzt wurde.

 
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