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Blaupause für Auschwitz


Ein Foto von Grafeneck 1940. „Was ist das für ein Ort?“ fragt Katharina Kramer die 25 Schülerinnen und Schüler der Klasse 12 bei ihrem Besuch am 12. Juni 2023.  „Er liegt abgelegen“, sagt ein Schüler. „Sehr wahrscheinlich, dass die Nationalsozialisten deshalb den Ort auf der Schwäbischen Alb für ihren Mord an Behinderten ausgewählt haben“ sagt die  FSJlerin, die die Gruppe an diesem Tag durch die Gedenkstätte führt. Jedenfalls wurden ab Oktober 1939 hier eine Gaskammer und ein Krematorium gebaut, mit dem sich im Jahr 1940 75 Menschen gleichzeitig ermorden ließen. Insgesamt 10.654 Menschen wurden bis Dezember 1940 in Grafeneck mit Kohlenmonoxid-Gas umgebracht, Epileptiker, Schizophrene, Alkoholkranke und behinderte Menschen. insgesamt rund 80 Schülerinnen und Schüler der zwölften Klassen des Technischen Gymnasiums, begleitet von ihren GGK-Lehrerinnen und Lehrern Christine Kellermann, Sabine Sauter, Stefan Weber und Markus Geckeler, besuchen an diesem Montag die Gedenkstätte in Grafeneck. Drei identische Führungen werden für die zwölfte Klassenstufe angeboten, geleitet von Joachim Stuhlinger, Katrin Bauer und eben Katharina Kramer.

Die Spuren der Vernichtung wurden von den Nationalsozialisten Ende 1940 weitestgehend getilgt: Baracken für die Busse und Aufnahmeanstalt abgerissen, die Gaskammer wieder zurückgebaut. In den 60er Jahren wurde auch die Scheune abgerissen, die als Todesfabrik gedient hatte. Links und rechts entstanden Neubauten, in denen heute wieder Behinderte der Samariterstiftung untergebracht sind, darunter Heinz Pflügle, der die Schüler freundlich begrüßt hat und auch mit aufs Gruppenbild will. (Auf dem Foto ganz links) Er lebt seit 35 Jahren in Grafeneck.

80 Schülerinnen und Schüler im Juni 2023 in Grafeneck Lediglich einige gemauerte Steine dokumentieren den Ort, wo einst die Gaskammer stand. Eine digitale Projektion rekonstruiert die Ereignisse eindrucksvoll, von der Ankunft der Busse, durch Sichtblenden abgeschirmt, über das Untersuchen und Entkleiden der Opfer im Ankunftsgebäude, und den Weg über die Straße zur Gaskammer, die mit Duschköpfen als Reinigungsraum getarnt war. Sobald die Türen verschlossen waren, strömte Kohlenmonoxid-Gas in den Raum, rund zwanzig Minuten dauerte der Todeskampf der Opfer, sorgfältig beobachtet vom Lagerarzt Horst Schumann im Nebenzimmer. Dann wurden die Opfer in das nebenliegende Krematorium gebracht und verbrannt. Der Lagerarzt Schumann wurde für seine Morde nie verurteilt. Er starb 1983 als freier Mann in Frankfurt/Main.

Mit Meldebögen waren die Opfer zuvor erfasst worden, jeder Anstaltsleiter musste dokumentieren, welcher Rasse der Patient angehörte, ebenso war die Diagnose wichtig, ob er noch einer Beschäftigung nachgehen konnte, ob er regelmäßig Besuch bekam und wer der Kostenträger war. Gutachter entschieden dann, wer sterben sollte. In Grafeneck wurden von Januar bis Dezember 1940 insgesamt 10.654 Menschen ermordet, in manchen Anstalten des Landes waren das über 50% der Insassen. Das jüngste Opfer war erst vier Jahre alt.

Aus drei Gründen wurde die Aktion in Grafeneck 1940 beendet: Die Geheimhaltung war gescheitert, Bewohner umliegender Orte hatten längst geahnt, was hier passierte, innerhalb der Kirchen regte sich Widerstand. Auch war das Plansoll, etwa ein Fünftel der Heiminsassen zu töten, sogar übererfüllt worden. Die Morde gingen in vielen Einrichtungen später weiter, Patienten wurden mit Giftspritzen umgebracht. Perfide Rechnungen der Nazis ergaben, dass das Deutsche Reich durch den Mord an den Behinderten 88 Millionen Reichsmark gespart hätten. Zum Abschluss des Besuches können die Schüler noch Zettel in eine „Klagemauer“ an der Gedenkstätte in Grafeneck stecken. Arian Wissendaner spendet Geld in einem Umschlag des Dokuzentrums, um eine Figur von Jochen Meyder für seine Mutter zu erwerben. Meyder hat 10.654 Tonfiguren geformt, die in Regalen vor den Fenstern des Doku-Zentrums untergebracht sind. Mittlerweise sind die meisten Figuren von Besuchern mitgenommen worden, jetzt flutet wieder Licht in den Raum.

 
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