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Ordnung und Bürokratie bis zum bitteren Ende


Die Münzgasse 13 in Tübingen ist heute ein Studentenwohnheim. Vor 80 Jahren war dort die Polizeidirektion Tübingen untergebracht, zuständig auch für die Deportation der Juden „nach dem Osten“, wie es im NS-Jargon hieß. Am 22. August 1942 verließ der erste Transport mit Tübinger Juden Stuttgart mit dem Fahrtziel Theresienstadt, Grund für eine kleine Ausstellung vor dem Landratsamt in Tübingen, die dort noch bis zum 15. November zu sehen sein wird. Auf rund 25 Plakaten ist die Geschichte einiger Tübinger Juden dargestellt, die später in Theresienstadt ums Leben kamen. „1,6 Quadratmeter hatte ein Mensch in Theresienstadt zur Verfügung“, sagt Anna Pütlik, die als Jugendguide die Klasse 13/3 des Technischen Gymnasiums am Donnerstag, 22. September, durch die Ausstellung führt. „Überleben in Wohnkäfigen“ ist das Plakat überschrieben. „Die Infrastruktur in der ehemaligen KuK-Kaserne war höchstens für 7000 Menschen ausgelegt, tatsächlich waren aber bis zu 60.000 Juden gleichzeitig in diesem Areal zusammengepfercht“, berichtet Pütlik. Die Folge waren katastrophale hygienische Zustände, an denen vor allem viele alte Menschen starben. „Darmkatarrh (Durchfall)“ und „Marasmus (Entkräftung)“ sind denn auch zwei Todesursachen, die sich häufig auf den Todesurkunden finden. Verena Gumz, Volontärin in der Abteilung 15 des Landratsamtes für Öffentlichkeitsarbeit, Archiv und Kultur, weist besonders auf die akribische Bürokratie hin, mit der die Todesfälle dokumentiert und archiviert wurden. Der lokale Friedhof in Theresienstadt reichte bald nicht mehr aus, um die vielen Todesopfer aufzunehmen. Ein Krematorium wurde gebaut, die Asche der Toten dann in die Eger gekippt. Insgesamt 33.000 Jüdinnen und Juden starben im angeblichen „Altersghetto“, das in Wahrheit ein Konzentrationslager war. 88.000 Menschen wurden weitertransportiert in die Vernichtungslager Auschwitz und Treblinka, wo die allermeisten wenige Stunden nach Ihrer Ankunft in Gaskammern umgebracht wurden.

„Ich stell mir das Böse immer als etwas Chaotisches vor“, sagt Anna Pütlik. Doch im Nationalsozialismus herrschte Ordnung und genaueste Bürokratie bis zum bitteren Ende.

 
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