Deutsche Didaktik in China gefragt
Am Mittwoch, 19. Juni, hat eine kleine Abordnung der Schulleitung aus Tianjin in China die Gewerbliche Schule Tübingen besucht, darunter auch Schulleiter Wang Hailong. Anschließend besuchten die chinesischen Lehrer die Firma Paul Horn, in der zahlreiche GST-Schüler ihre Ausbildung zum Industriemechaniker absolvieren. „Für die chinesischen Lehrer war es interessant, Einblicke in einen der Ausbildungsbetriebe zu bekommen“, sagt Eva-Maria Schullian. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Norman Primbs hat Schullian in den Osterferien die Schule mit rund 20.000 Schülern im Osten Chinas besucht. Durch frühere Kontakte hat Norman Primbs die Anfrage der Tianjin Sino-German University of Applied Science bekommen, vor Ort mit Schülern deutsche Didaktik-Kenntnisse zu vermitteln. Gemeinsam mit Maximlian Besov und Marcel Sautter, beide Industrie-Mechaniker im dritten Lehrjahr, haben die beiden Pädagogen während der deutschen Osterferien in Tianjin, einer Millionen Einwohner großen Hafenstadt, an der dortigen University of Applied Science Kurse besucht und auch ihr Können demonstriert. Lernfeld-Unterricht gehört dabei zu ihren Steckenpferden.
„Mein erster Gedanke war: Was kann ich denen beibringen?“, sagt Norman Primbs, beeindruckt von der hervorragenden technischen Ausstattung der chinesischen Kollegen. Die 700 Lehrer und 20.000 Schüler wohnen gemeinsam auf einem Campusgelände mit riesigen Laboren und modernsten Gerätschaften. Bald allerdings fiel den deutschen Gästen auf, dass auch in China nur mit Wasser gekocht wird. „Die Lehrer haben zwar alle einen Doktortitel, aber keinerlei didaktische Kenntnisse“, sagt Eva-Maria Schullian. Das System sei „auf Angst getrimmt“, Schüler müssten aufstehen, wenn sie etwas fragen wollten. Unterrichtet werde meist frontal, der Lehrer rede, die Schüler schrieben mit.
Auch die beiden GST-Schüler hätten bald bemerkt, dass sie viele Inhalte schon kannten und den chinesischen Schülern in der Praxis überlegen waren. „Die haben nachher die Lehrer weitergebildet“, lacht Primbs, etwa beim Fräsen von Werkstücken.
Gerade hier sieht Norman Primbs die Chance auf gegenseitigen Profit des Projektes: Die GST-Lehrer könnten den chinesischen Gastgebern helfen, ihren Unterricht zu verbessern, etwa durch den Lernfeld-Gedanken, also eine stärkere Verzahnung von Theorie und Praxis. Davon könnten aber auch deutsche Firmen profitieren, wenn sie in China geeignete Fachkräfte für ihre Produktionsbetriebe suchten. Gleichzeitig erhofft sich Primbs die Chance, an den chinesischen Maschinen neue Produktionsprozesse auszuprobieren, die ihm dann im deutschen Unterricht zugutekämen. Finanziert wird das Projekt übrigens von der chinesischen Seite.