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Vom Goldenen Saal zum Saal 600


Projektteam vor dem GerichtssaalDie Kongresshalle hat es Aaron angetan. „Ich würde die gerne fertigbauen“, sagt der 18jährige Tübinger Schüler auf der Rückfahrt mit dem IC von Nürnberg nach Stuttgart. Das halbfertige Gebäude war ursprünglich für die Parteikongresse der NSDAP geplant worden, sollte 60.000 Zuschauer beherbergen können und wurde nie fertiggestellt. „Der Bau steht auch für das Scheitern des Dritten Reichs“, sagt Alexander Schmidt, Historiker und stellvertretender Leiter des Dokuzentrums Nürnberg bei seiner Führung am Mittwoch, 20. Juli 2022. Hier sollte auch die größte Orgel der Welt eingebaut werden. „Alles sollte möglichst groß und eindrucksvoll sein“, so Schmidt. Die Orgel zeige auch, dass es um fast etwas Religiöses ging. „Die Nazis wollten den Menschen das Gefühl vermitteln, Teil eines Großen und Ganzen zu sein.“ Riesige Mengen Natursteine wurden in diesem Gebäude verbaut, häufig von KZ-Gefangenen aus Bergwerken geschlagen. Viele kamen dabei um. Auch das gehörte zum Konzept des Nationalsozialismus: Wer nicht Teil der Volksgemeinschaft war, der wurde ausgegrenzt, verfolgt und häufig umgebracht. Schmidt zeigt: Auch die Volksgemeinschaft der Nazis war keine Gemeinschaft der Gleichen. In der Kongresshalle sollte es eine Empfangshalle nur für die Führung der Partei geben, in der einige Kilometer entfernten Zeppelintribüne ist das Pendant dazu der „Goldene Saal“, der sich an diesem Dienstag bei knapp 40 Grad Hitze als besonders beliebt bei den Schülerinnen und Schülern herausstellt. „Dieser Raum war nur den Ehrengästen vorbehalten, die normalen Parteigenossen gingen durchs Treppenhaus,“ sagt Schmidt. An der Decke sind hakenkreuzähnliche Verzierungen aus golden übermalten Schmucksteinen zu sehen. Der Raum ist gut acht Meter hoch, kahl und kalt. „So hat Albert Speer Räume gestaltet, wenn er Menschen beeindrucken wollte“, sagt Schmidt. Wie der Goldene Saal, der derzeit nur für Führungen offen ist, künftig genutzt werden soll, ist noch umstritten. Schmidt ist für die Öffnung für Besucher, aber mit Kommentierung, um nicht der Ästhetik der Nazis zu erliegen. „Diese Kälte, diese Brutalität, diese Gruft. Der Saal ist eine Herausforderung, “ sagt Schmidt.

Warum wurde Nürnberg überhaupt als die „deutscheste aller Städte“ zum Zentrum der NS-Bewegung erklärt?

Alexander Schmidt nennt mehrere Gründe: Nürnberg war ein Eisenbahnknotenpunkt, alle drei Minuten wurde vor den Parteitagen ein Zug mit rund 1000 Personen entladen. So konnten die rund 150.000 Besucher eines Parteitages gut an- und abreisen. Außerdem bot Nürnberg mit seiner romantischen Burg und großen verwinkelten Altstadt die passende Kulisse für die Nationalsozialisten. Auch gab es mit Julius Streicher, Gauleiter und Herausgeber des antisemitischen Kampfblatts der Stürmer ein willfährigen, absolut loyalen Organisator vor Ort. Der Nürnberger Oberbürgermeister Hermann Lubbe, ein liberaler Demokrat von der DDP, hatte in der Endphase der Weimarer Republik  versucht, die Nazis aus der Stadt wieder zu vertreiben, nachdem es beim Reichsparteitag 1929 bereits zwei Todesopfer gegeben hatte. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Januar 1933 wurde er abgesetzt, und das Gelände von Albert Speer, dem Architekten Hitlers, großzügig ausgebaut. Abgehalten wurden die Reichsparteitage immer im September. „Der letzte Reichsparteitag 1939, als Parteitag des Friedens geplant, ist dann wegen des Krieges ausgefallen“, sagt Schmidt.

„Was können wir als Demokratie mit solchen Flächen anfangen?“ fragt Schmidt die sieben Schülerinnen und Schüler, die sich für das Projekt „Faszination und Gewalt“ im Rahmen der Projektwochen an der GST angemeldet haben. „Ich finde Benutzung gut!“, sagt Schmidt. Nach dem Krieg hat sich die Nürnberger Öffentlichkeit das Reichsparteitagsgelände langsam zurückerobert, es als Freizeitareal genutzt, was es bereits vor der Nazizeit war. So spielten an der Wand der Zeppelintribüne Anfang der achtziger Jahre Hunderte Tennis, nachdem Boris Becker Wimbledon gewonnen hatte. Bob Dylan eröffnete ein Konzert im Juli 1978 vor der Zeppelintribüne, auf der einst Adolf Hitler Hof hielt, mit dem Lied „Masters of War“ und der Bemerkung. „What a pleasure to sing it in this place“.

Nach einer tropischen Nacht in der Jugendherberge auf der Burg und einigen interessanten Stopps in der Nürnberger Altstadt, die während des letzten Kriegsjahres durch Bombenabwürfe der Alliierten zu mehr als 90 Prozent zerstört worden war, besucht die Gruppe zum Abschluss am Donnerstag, 21. Juli, das Memorium der Nürnberger Prozesse an der Bärenschanze. Hier fand der Hauptkriegsverbrecherprozess in Nürnberg 1945 statt, der „größte Prozess der Geschichte“, wie Andreas Clemens, Politikwissenschaftler vom Verein „Geschichte für alle“ betont. Worüber sollte überhaupt geurteilt werden? Die Alliierten einigten sich schließlich auf vier Anklagepunkte: Punkt eins war der gemeinsame Plan oder die Verschwörung eines Angriffskrieges. Punkt zwei waren die Verbrechen gegen den Frieden, die besonders von den Staaten Niederlande, Dänemark und Norwegen erhoben wurden, die von Hitlers Armee ohne Kriegserklärung besetzt worden waren.

Punkt drei waren Kriegsverbrechen, Punkt vier Verbrechen gegen die Menschheit, vor allem der Mord an den europäischen Juden. Dieser vierte Punkt gewann während des Prozesses immer mehr an Bedeutung, weil sich erst nach und nach die ganze Dimension des Verbrechens abzuzeichnen begann, etwa in einer Zeugenaussage des KZ-Kommandanten von Auschwitz, Rudolf Höss, der die Anklage korrigierte. „Es waren 1,3 Millionen Tote in Auschwitz, nicht nur eine Million.“  Er wurde dafür später in Polen gehenkt.

Wichtigster Angeklagter war Hermann Göring, ursprünglich auf Platz vier der Liste, hinter Hitler, Himmler und Goebbels. Da sich die ersten drei dem Prozess durch ihren Selbstmord entzogen hatten, saß Göring als ranghöchster Nazi auf einer einfachen Holzbank, heute eines der wenigen originalen Ausstellungsstücke, die in der Ausstellung gezeigt werden können. Sonst gibt es nur eine Dokumentenkiste und viele Texte auf Tafeln. „Die Justiz hat beim Umbau in den 60er Jahren die allermeisten Requisiten des Originalprozesses beseitigt und den Raum wieder originalgetreu zurückgebaut, so als wolle man das Ganze ungeschehen machen.“, sagt Clemens. „Siegerjustiz“, seien die Urteile von Nürnberg gewesen, so lautete lange Zeit der Vorwurf, hinter dem sich viele deutsche Juristen versteckten, um nicht über ihre eigenen Verstrickungen mit dem NS-Regime sprechen zu müssen. „Fast alle Juristen waren in der NSDAP“, sagt Clemens. Die Übernahme der Verteidigung sei für sie eine Ehrensache gewesen, außerdem „gut bezahlt“. In den Saal 600, in dem der Prozess stattfand, kann man heute nur durch drei Fenster blicken. Er wird derzeit umgebaut, eine Videoleinwand soll künftig den mehr als 100.000 Besuchern pro Jahr mit Projektionen den Originalprozess noch besser veranschaulichen.

Die Urteile wurden hier im Oktober 1946 gesprochen, zwölf Todesurteile, von denen zehn vollstreckt wurden. Hermann Göring entzog sich der Strafe durch eine Zyankalikapsel. Die Halle, in der neben Julius Streicher neun Angeklagte hingerichtet wurde, wurde von den Alliierten anschließend sofort abgerissen, die Leichen der zehn Hingerichteten wurde in München eingeäschert und die Asche in einen Nebenarm der Isar gestreut. „Es sollten keine Orte für Gedenkfeiern von Neonazis geschaffen werden,“ so Clemens. Ein Fehler, den später Bundeskanzler Helmut Kohl beging, als er die Beisetzung von Rudolf Hess, Hitlers Stellvertreter und „teuerster Gefangener der Weltgeschichte“ in Wunsiedel erlaubte. Hess hatte 21 Jahre lang allein im Gefängnis Spandau gesessen, ehe er 1987 Selbstmord beging. „An seinem Todestag fanden immer die größten Nazidemonstrationen statt“, sagt Clemens.

 
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