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Auf der Suche nach der „letzten Wiese“


„Ich hatte mir die Wiese viel verwunschener vorgestellt“, sagt Jule Schmidt. Die 17jährige aus Dusslingen ist damit nicht allein. Die meisten Schüler der Klasse 11/3, die im Unterricht eine Zeit-Reportage über ein Neubaugebiet in Gönningen gelesen haben, sind von dem tatsächlichen Stück Natur etwas enttäuscht. Die Geschichte im Dossier der Hamburger Wochenzeitung vom 28. Januar 2021 mit dem Titel „die letzte Wiese“ hat der Klasse als Anschauungsmaterial im Online-Deutschunterricht gedient, wie eine Reportage aussehen kann. Autor Wolfgang Bauer hat darin den Konflikt umfänglich dargestellt. Auf der einen Seite die Bürgerinitiative, bestehend aus zwei Dutzend Anwohnern, die verhindern will, dass ein Stück Natur vor ihrer Haustür überbaut wird. Auf der anderen Seite Christel Pahl, die Bürgermeisterin von Gönningen, und der gesamte Ortschaftsrat, die dort einen Kindergarten, eine Altenbegegnungsstätte und Wohnraum für junge Familien schaffen wollen.

Die letzte Wiese

„Gönningen braucht den Zuzug von jungen Familien, die die Schulen und die Infrastruktur vor Ort beleben“, sagt Pahl an diesem verregneten Freitagmorgen, 9. Juli, in ihrem Gemeindesaal. Vor Jahren habe es noch eine Werkrealschule hier gegeben, die ihr Pflegekind besucht hat. Die sei mangels Schülern mittlerweile geschlossen, jetzt fürchtet sie um die Grundschule.

Pahl hat für die GST-Schüler eigens eine Powerpoint-Präsentation vorbereitet, die sie unter Corona-Bedingungen präsentiert. Sie ist von Wolfgang Bauers Reportage ziemlich enttäuscht. „Der Artikel war handwerklich gut gemacht, aber tendenziös“, sagt sie. „Flächenverbrauch ist schlecht“, hat sie als Botschaft entnommen. Dabei fehlten in Reutlingen nach einer aktuellen Studie 5000 Wohnungen. Baulücken, wie die Bürgerinitative behaupte, gäbe es zwar, aber viele der alten Gönninger wollten ihre Hausgärten nicht verkaufen. „Ich finde das legitim“, sagt Pahl. Deshalb brauche man diese Wiese, „die letzte Wiese, die bebaut werden kann“. Seit 50 Jahren stehe sie im Flächennutzungsplan, die Grundstückbesitzer wollten gerne verkaufen, denn die Preise seien hoch. Christel Pahl hofft, dass ab 2025 gebaut werden kann.

Die 18 Schülerinnen und Schüler, begleitet von ihren Klassenlehrern Jochen Vogel und Manfred Brenner sprechen anschließend mit Vertretern der Bürgerinitiative.  Elke Rogge, ebenfalls Anwohnerin, hat mehr als 300 Unterschriften im Ort gesammelt. Sie hat die Häuser der Gegner farbig auf einem Stadtplan markiert. Sie bemängelt die schwierige Zufahrt zum Neubaugebiet und kritisiert, dass andere Standorte für eine Erschließung besser geeignet seien. Außerdem lebten hier seltene Tierarten wie Feuersalamander und Fledermäuse. Gemeinsam mit der Klasse umrundet sie das Terrain. Einige alte Obstbäume, ein Trampolin, und viel grüne Fläche sind zu sehen. Wer sich die „letzte Wiese“ anschaut, muss allerdings erkennen: Dahinter ziehen sich Wiesen und Wald bis zum Albaufstieg.

Verständlich, dass sich die Anwohner wehren, denn ein Neubaugebiet bedeutet Lärm, Verkehr und verbauten Blick. „Briefe schreiben, E-Mails schreiben“, eine Bürgerinitiative bedeutet viel Arbeit, sagt Elke Rogge. Trotzdem hinke man immer einen Schritt hinter der Gemeinde her. Der Bericht in der „Zeit“ hat den Gegnern des Baugebietes jedoch viel Aufmerksamkeit gebracht. Fernsehteams hätten sich angekündigt, selbst der SWR wolle berichten.

Die 18 Schülerinnen und Schüler der 11/3 sind schließlich froh, dass sie diesen Konflikt nicht entscheiden müssen. Für sie beginnt nach einem kurzen Grill- und Badestopp an den Gönninger Seen und einer sausenden Rückfahrt das wohlverdiente Wochenende.

 
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