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Dichten am Hölderlinturm


„Ich höre mich gehen. Also weiß ich, dass ich noch auf der Welt bin.“

Sätze Friedrich Hölderlins durchziehen die Ausstellung im Turm. Am Tag nach dem großen Hagel fließt braunes Wasser vor den Fenstern vorbei. Die Stocherkähne sind fest vertäut. Ein Blässhuhn kämpft verzweifelt gegen die starke Strömung. Im Dichterzimmer im ersten Stock, dort wo Friedrich Hölderlin auf wenigen Quadratmetern 36 Jahre gewohnt hat, steht ein einfacher Holztisch, „ein Nachbau“ wie eine Museumsangestellte versichert. Hölderlin soll auf diesen Tisch der Sage nach das Versmaß seiner Gedichte geklopft haben. Vor einigen Jahren ist er auf einem Tübinger Dachboden entdeckt worden. Brigitte Fritz-Weiss, früher selbst Lehrerin, referiert im Garten die wichtigsten Lebensstationen des Tübinger Dichters, der im März 2020 250 Jahre alt geworden wäre.

10-2 im Turm

Das Jubiläum ist, wie Hölderlins ganzes Leben, eher missglückt. Der Mann, der zu Lebzeiten als tragische Figur galt, dessen Dichtung erst im 20. Jahrhundert wirklich entdeckt wurde, hat auch posthum Pech. Die Corona-Pandemie hat just um seinen Geburtstag am 20. März begonnen, erst jetzt können wieder Touristen das neugestaltete Museum besichtigen, nach Monaten der Schließung. „Lauffen, Nürtingen, Tübingen, der Neckar bildet ein blaues Band im Leben Hölderlins“ sagt Brigitte Fritz-Weiss. Dass er schließlich von einem Schreiner aus dem Martyrium in der Autenriethschen Klinik erlöst wurde, nach 231 Tagen, einem Schreiner, der „Hyperion“ gelesen hatte, den einzigen Briefroman, den Hölderlin zu Lebzeiten veröffentlicht hat, das ist eine passende Anekdote für die Schülerinnen und Schüler der GST, die selbst gerade im Werkunterricht eine Cajon bauen und an deren Schule heute Schreinermeister ausgebildet werden.

„Die Linien des Lebens sind verschieden/ Wie Wege sind, und wie der Berge Grenzen. Was hier wir sind, kann dort ein Gott ergänzen/ Mit Harmonien und ewigem Lohn und Frieden.“

Diese Verse soll Hölderlin auf ein Stück Holz geschrieben haben, bei einem zufälligen, morgendlichen Besuch in der Werkstatt im Erdgeschoss des Schreiners, so Brigitte Fritz-Weiss. Aus dem Bauch heraus, aus der Eingebung heraus habe Hölderlin das geschrieben. „Sein Rhythmusgefühl hat er vermutlich auf seinen unzähligen Wanderungen geschult, permanent war er unterwegs“, sagt Fritz-Weiss. In den letzten Jahren nur noch im Zimmerschen Garten, direkt am Neckarufer.

Auch die Schülerinnen und Schüler der Klasse 10-2 sollen dort an diesem Donnerstag, 24. Juni, zum Abschluss einen Text schreiben. „Welche Begriffe passen denn zu Hölderlin?“ fragt Brigitte Fritz-Weiss. „Griechenland, Neckar, die vier Jahreszeiten, Natur, Birnen, Familie“, so die Antworten der Schüler.

Einige setzen sich auf die Mauer und beginnen zu schreiben, sind bald schon fertig. Andere zieren sich, setzen sich aber dann doch auf die steile Treppe hinauf zur Bursagasse, wo heute in der „Burse“, die philosophische Fakultät beheimatet ist, und wo Hölderlin einst ein halbes Jahr in einer starren, ledernen „Autenriethschen Maske“, in einer Zwangsjacke gefesselt, von seiner Schizophrenie geheilt werden sollte. Simin Oswald schreibt dieses Gedicht:

Sommersturm

Im Sommer regnet´s,

braun der Neckar.

Hagelkörner groß wie Pflaumen.

Verstopfte Gullis, Blätter.

Grüne Straßen, Wege, Plätze.

Zeit vergeht, die Sonne lacht.

Alles ist vorbei.

 
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