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90 Minuten Regierungschef sein


Seminar Urach neu
 „Am 26. Mai wird abgerechnet“ und „nie wieder CDU“ – diese provozierenden Äußerungen von Schülern der Klasse 12/2 kurz nach der Abstimmung über die Urheberrechtsreform im EU-Parlament Ende März bildeten den Aufhänger für eine kontroverse Debatte im Rahmen eines Seminars der Landeszentrale für Politische Bildung mit dem Titel „die EU und Europa“, das vom 20. bis 22. Mai im Haus auf der Alb in Bad Urach stattgefunden hat.
„Ihr findet nicht die Idee schlecht, aber die Umsetzung ist Käse“, so fasst Marie Gräf, freiberufliche Seminarleiterin der Landeszentrale für Politische Bildung, die hitzige Diskussion zusammen, in der die 23 Schüler der Klasse 12/2 des Technischen Gymnasiums kurz vor der Europawahl die Pro und Kontra-Argumente der Debatte vortrugen. Hauptkritikpunkt der beschlossenen Reform sind die sogenannten Upload-Filter, die für die Identifizierung von urheberrechtlich geschützten Werken notwendig wären, und die etwa Parodien nicht erkennen könnten. Die Schüler zeigen sich auch enttäuscht darüber, dass eine Petition gegen die Reform, die von fünf Millionen EU-Bürgern unterstützt wurde, letztlich erfolglos gewesen sei.
Marie Gräf, die nebenbei in Stuttgart die Fächer Planung und Partizipation studiert, sieht das anders: „Die Proteste haben etwas bewirkt“, sagt die 25jährige. Sie verweist auf eine vierseitige Erklärung Deutschlands zur Abstimmung, in der abweichende Meinungen zum Ausdruck kommen – „das ist außergewöhnlich“. Außerdem habe jedes Land jetzt zwei Jahre Zeit, diese Verordnung umzusetzen, „mal sehen was da noch passiert“. Immerhin regiere in Deutschland eine große Koalition unter SPD und CDU, die in dieser Frage uneins sei. „Das kann die Regierung sprengen“ prophezeit Gräf.
Ein weiterer Höhepunkt der dreitägigen Studienfahrt ist das Planspiel „Festung Europa“ in dem die Schüler die Flüchtlingspolitik der EU nachvollziehen sollen. Dabei sind die 23 Schüler in die Rollen von Regierungschefs geschlüpft und müssen immer zu zweit die Position eines Landes vertreten.  Hardliner im Streit um Asylquoten sind Polen und Ungarn, vertreten durch Vipul Narula und Jakob Gönner.  Vipul Narula, theatererprobt aus dem Literatur und Theater-Kurs von Ike de Pay, spielt seine Rolle als Hardliner ohne mit der Wimper zu zucken: „Die anderen Länder sollten es machen wie wir“, sagt der 19jährige. Polen könne sich vorstellen, künftig 100 Flüchtlinge pro Jahr aufzunehmen, bisher seien es 69.
„Polen sollte das Stimmrecht entzogen werden“, fordert Marius Ruckh, der Schweden vertritt, ein Land, das 2017 240.962 Geflüchtete aufgenommen hat, und damit die höchste Flüchtlings-Quote aller EU-Länder pro Einwohner aufweist. Bei der Abstimmung über den Entzug des Stimmrechts, der einstimmig verlaufen müsste, scheitern die Regierungschefs jedoch am Veto Ungarns, das Polen unterstützt. Schließlich einigen sich die „Staatschefs“ erschöpft auf eine Verschärfung der Grenzkontrollen durch die EU-Mission „Frontex“.
„Das ist sehr realistisch“, sagt Marie Gräf, Seminarleiterin der Landeszentrale für Politische Bildung, über das Ergebnis des Planspiels. Tatsächlich hätten sich die EU-Regierungschefs in den vergangenen Jahren fast nur auf dieses Ziel einigen können. Auch in Wirklichkeit werde das Vetorecht der Staaten in den Verhandlungen bis zum Ende ausgereizt. Da gehe es um Machtkalkül und Einflussnahme. „Mir ist klarer geworden, wie kompliziert es für Politiker ist, Entscheidungen zu fällen“, sagt Lars Schiefer über den Lernprozess durch das Planspiel. „Das Einstimmigkeitsprinzip in der EU sehe ich kritisch“, sagt Elias Ginter.
 
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